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Ich zähme dich, du störrischer Esel!

Bald bin ich am Ende meiner Yogalehrerausbildung und nachdem die meisten Yoga vor allem durch die Bilder von Menschen in komplizierten Körperstellungen kennen, ist es mir ein Bedürfnis ein paar Zeilen über Yoga zu schreiben. In den sozialen Netzwerken boomen Fotos unter dem Hashtag Yoga präsentiert in hipper teurer Yogakleidung und perfekten Körpern. Yoga ist Trend geworden. Doch diese Bilder zeigen nur einen minimalen Ausschnitt des Ganzen. Yoga ist für alle, Yoga ist mehr als körperliches Üben, Yoga kann sanft und kraftvoll, aktiv und passiv, schön und aufwühlend, befreiend und beängstigen und noch so viel mehr sein. Yoga ist ein Weg – ein Lebensweg.

 

Das Wort Yoga kommt aus dem Sanskrit von von yuga, was soviel wie “Joch” bedeutet und yuj für: “anjochen, zusammenbinden, anspannen, anschirren”. Es geht also um eine Verbindung. Warum aber diese Verbindung in der Bezeichnung zu Zugtieren? Ich habe da folgendes Bild: Man kann sich das eigene Ego als störrischer Esel vorstellen, der wild ist und sich nicht zähmen lässt. Jeder kennt diese Situationen, in denen sich die Gedanken im Kopf drehen, wir unfokussiert, unkonzentriert und verwirrt sind, meist kombiniert von Gefühlen wie Stress, Angst, Sorge, Verzweiflung. Das bringt uns immer wieder weg von unserem eigentlichen Ich; unserem innersten Kern. Wenn wir es nun schaffen diese wirren Gedanken und unser Ego „unter Kontrolle zu bringen“ – sie einzuspannen in unser Bewusstsein, sodass sie nicht mehr unbewusst unsere Entscheidungen vorwegnehmen, kommen wir näher zu uns selbst.

 

Unser Unterbewusstsein steuert neunzig Prozent. Und zwar nicht nur der Funktionen unseres Organismus, sondern auch die Ausführung unserer Handlungen. Es kann bis zu 20 Millionen Reize pro Sekunde und ca. 7500 Informationen pro Minute aufnehmen, verarbeiten und speichern. Wenn ein Reiz kommt, checkt unser Unterbewusstsein gleich ob es da ein abgespeichertes Verhaltensmuster gibt. Es funktioniert also gewohnheitsmäßig, es reagiert auf die gleichen Lebenssignale immer mit dem gleichen. Yoga hilft dabei, mehr Zugriff zu diesem Unterbewussten zu erlangen, sowohl durch die körperliche Praxis, als auch durch Meditation und der gesamten Philosophie. Die Schriften geben Impulse sein Leben zu hinterfragen, zu reflektieren und sich bewusst zu machen, wie man mit sich und seinem Umfeld umgeht. In der Meditation werden wir still, die Reize von außen werden minimiert, sodass wir nach und nach immer tiefer in unterbewusste Bereiche vorstoßen können. Mantras wirken darauf ein, dass wir unsere Glaubenssätze anders ausrichten. Das sind nur einige Beispiele, die zeigen, dass es kein Hokuspokus ist, sondern aufgrund der Erkenntnisse aus Gehirnforschung und anderen Disziplinen gut nachvollziehbar ist.

 

Yoga hat aber nach wie vor oft einen esoterischen Beigeschmack, ist aber wissenschaftlich gut erforscht. Die positiven Wirkungen auf unsere Gesundheit sind bewiesen, sofern man Yoga anatomisch richtig praktiziert. Tatsächlich stecken hinter den perfekten Fotos oft Geschichten, die man nicht für möglich hält. „Yogis“, die mit Bandscheibenvorfällen und anderen Verletzungen mit dem Krankenwagen abtransportiert werden oder, die sich mit Schmerzmittel helfen, um die perfekten Flows umzusetzen. Auch das gibt es und ist für mich nicht mehr Yoga.

 

Yoga in einer Weise praktiziert, die unsere individuellen Grenzen achtet, die den Fokus auf gelenksschonende Umsetzung setzt, kräftigt und auch entspannt und über das physische Üben hinausgeht ist ein Weg, der das Leben bereichert.

 

Ich praktiziere Yoga seit einigen Jahren regelmäßig und seit Beginn der Yogalehrerausbildung habe ich einen viel tieferen Einblick bekommen, der meine Praxis sehr erweitert hat. Yoga ist eine Art zu leben und wie die Schauspielerei ist man mit Yoga nie "fertig".Yoga bringt mich zurück zu meinem Ich, zu dem Innersten in mir, das im täglichen Leben oft überschattet oder manchmal sogar überschüttet ist. Jeder kennt Angst, Sorge, Stress, Druck, hohe Ansprüche - entweder bewusst, oder es arbeitet unbewusst. Yoga hilft mir zu leben, zu handeln, zu sein, wie es meinem Wesen entspricht, gut mit mir und allem um mir umzugehen und immer wieder zu reflektieren, fühlen und zu lernen. Yoga unterstützt meinen Weg als Schauspielerin somit auch enorm: Mich und meinen Körper, meinen Geist immer besser zu fühlen und zu kennen, bewusst wahrnehmen zu können und somit auch Zugriff auf mein "Instrument" zu haben, wenn ich es brauche und einsetzen will.

 

Foto Esel: Daniel Fazio on Unsplash

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